Erinnerungskulturen. Dialoge, Diskurse, Dissens


Vortragsreihe
WS 2024/25

Veranstaltungsart

Fachpraxis Fachpraxis kurz Vortrag

ECTS

4 ECTS
2 ECTS


Leistungskontrolle

Referat/Hausarbeit/Klausur, Vorlage und Präsentation von Arbeitsergebnissen, Anwesenheitspflicht


Beschreibung

https://www.youtube.com/@erinnerungskulturendialogdisku

https://sites.google.com/view/erinnerungskulturen/

Kaum etwas polarisiert so stark wie die Erinnerungskultur - die individuellen und institutionellen Praktiken, deren Zusammenspiel so etwas wie den “gesellschaftlichen” Umgang mit Erinnerung bestimmt. Dialoge, Diskurse, Dissens: wir wollen reden, vielleicht verändern - erweitern - sich dadurch auch die großen Erzählungen der Erinnerungskultur. Und wenn sich kein Konsens finden lässt - gerade dann muss Gemeinsamkeit möglich sein.

Die Vortragsreihe soll Austausch und Auseinandersetzung mit einer Vielzahl von Positionen ermöglichen und erleichtern, die Veranstaltungen finden daher im städtischen Raum statt, um Interessierte zusammenzubringen. 

Die (vor allem künstlerisch) Forschenden und Lehrenden sehen sich als Ko-Moderator:innen eines solchen Austausches, nicht als Vertreter:innen bestimmter Positionen. Die Studierenden sind aufgefordert, nicht passiv zuzuhören, sondern aktiv Fragen zu stellen und an der Diskussion teilzunehmen. Die Reihe ist das Ergebnis einer nüchternen Bestandsaufnahme aktueller Entwicklungen im Saarland und darüber hinaus, die gezeigt haben, dass eine solche Auseinandersetzung nicht einfach so stattfindet, sondern konkrete Anlässe und Orte braucht für Gespräche, die zumindest versuchen, der (eigenen) Suche nach Orientierung in krisenhaften Zeiten gerecht zu werden. 

 

Die Veranstaltung findet ab dem 21.10.2024 wöchentlich montags um 19 Uhr statt.

Der Auftakt erfolgt in der Aula, danach ab dem 28.10.2024 im Filmhaus.

21.10.2024 |Auftakt in der Aula

Ab 28.10. mit den Vortragsgästen im Filmhaus Saarbrücken

28.10.2024 |Dr. Sabine Grittner & Dr. Peter Goergen - Willi Graf und der Graue Orden: Jugend im Widerstand – Im Zeichen der Freiheit

04.11.2024 |Prof. Dr. Aleida Assmann – Erinnerungskulturen als Dialog

11.11.2024|Diskussion 

18.11.2024 |Prof. Dr. Mosche Zimmermann – Die Geschichte des Zionismus, Antisemitismus und die deutsche Erinnerung an den Holocaust

25.11.2024 |Ruth Hoffmann – Widerstand gegen das NS-Regime – die geschleifte Erinnerung

09.12.2024 |Prof. Dr. Rudolf Steinberg – Staatsräson: Wer muss sich an was erinnern – und warum?

16.12.2024 |Diskussion und Rekapitulation

06.01.2025 |Charlotte Wiedemann – Erinnern ohne Grenzen: Postkoloniale Traumata und der Weg zur globalen Gerechtigkeit

13.01.2025 |Dr. Frank Hirsch – Erinnern ohne Helden: Erinnerungskultur in Deutschland – Diskurse und Vergleiche

27.01.2025 |Prof. Dr. Stephan Hau – Individuelles und Kollektives Erinnern. Traumata und Täter-Opfer-Beziehung

03.02.2025 |Dr. Irmtrud Wojak – Erinnern heißt widerstehen – Die Überlebenden und die nationale deutsche Kultur der Erinnerung

 

Die folgende Liste enthält beispielhafte Akteurinnen und ihre Publikationen. 

Prof. Dr. Aleida Assmann/Kulturwissenschaftlerin: “Erinnerungsräume -  Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnis”, “Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur”

Prof. Dr. Mosche Zimmermann/Historiker, Antisemitismusforscher: "Deutsch-jüdische Vergangenheit: Der Judenhass als Herausforderung", “Die Angst vor dem Frieden”, “Denke ich an Deutschland…”, "Niemals Frieden"

Ruth Hoffmann/Journalistin, Autorin: “Das deutsche Alibi. Mythos „Stauffenberg-Attentat“ – wie der 20. Juli 1944 verklärt und politisch instrumentalisiert wird.

Prof. Dr. Rudolf Steinberg/Präsident a.D., Rechtswissenschaftler: „Zwischen Grundgesetz und Scharia“, “Die Repräsentation des Volkes. Menschenbild und demokratisches Regierungssystem”

Charlotte Wiedemann/Autorin: "Den Schmerz der Anderen Begreifen", "Der lange Abschied von der weißen Dominanz", "Vom Versuch, nicht weiß zu schreiben"

Dr. Frank Hirsch/Historiker: “Juden in Merzig zwischen Beharrung und Fortschritt. Eine kleinstädtische Gemeinde im 19. Jahrhundert”, “Die Einheitsgewerkschaft im Saarstaat 1945-1955/57. Demokratisierungsbeitrag, Krisenerfahrung und Sozialkonflikt”

Prof. Dr. Stephan Hau/Psychologe: "S3-Leitlinie Behandlung von Angststörungen", "Arbeit mit Träumen", "Operationalized psychodynamic diagnosis in childhood and adolescence (OPD-CA-2)", "Narrated Experiences of Sexual and Gender Minority Refugees: Resilience in the Context of Hardship from Pre- to Post-Migration"

Dr. Irmtrud Wojak/Historikerin, Gründungsdirektorin des NS-Dokumentationszentrums München, Gründerin der BUXUS STIFTUNG und des Fritz Bauer Forums: "Interessen, Strukturen und Entscheidungsprozesse! Für eine politische Kontextualisierung des Nationalsozialismus", "Fritz Bauer 1903-1968. The prosecutor who found Eichmann and put Auschwitz on trial", "Auschwitz-Prozeß. 4 Ks 2/63. Frankfurt am Main", "Im Labyrinth der Schuld. Täter – Opfer – Angeklagte"

 

Die Vorträge

"Willi Graf und der Graue Orden: Jugend im Widerstand – Im Zeichen der Freiheit" : Der Vortrag widmet sich dem Leben von Willi Graf, einem der bedeutendsten saarländischen Widerstandskämpfer während des Nationalsozialismus.Nachdem der Bund Neudeutschland, dem Graf angehörte, von den Nationalsozialisten verboten wurde, schloss er sich dem „Grauen Orden“ an, einer illegalen Widerstandsgruppe. Diese Jugendorganisation war durch Wanderfahrten, kulturellen Austausch und den gemeinsamen Widerstand gegen das NS-Regime geprägt. Im Mittelpunkt des Vortrags steht, wie die Mitglieder des Grauen Ordens durch ihre Erlebnisse eine alternative Identität zur nationalsozialistischen Ideologie entwickelten und die Freiheit als zentrales Ideal ihres Widerstands lebten.

"Erinnerungskulturen als Dialog": Erinnerungen verschiedener Kulturen stehen oft in Konkurrenz zueinander, was zu Konflikten und Ausgrenzungen führen kann. Doch anstatt Erinnerungen gegeneinander auszuspielen, kann ein dialogischer Ansatz helfen, diese unterschiedlichen Erfahrungen in einen konstruktiven Austausch zu bringen. So entsteht eine inklusive Erinnerungskultur, die Vielfalt respektiert und es ermöglicht, aus der Vergangenheit zu lernen, indem die Erinnerung als ein dynamischer und zukunftsorientierter Prozess verstanden wird, der historische Verletzungen nicht verdrängt und keine Hierarchien des Leids schafft.

"Die Geschichte des Zionismus, Antisemitismus und deutsche Erinnerung an den Holocaust": Moshe Zimmermann stellt den aktuellen Krieg im Nahen Osten in einen umfassenden historischen Kontext, der die Geschichte des Zionismus, den Antisemitismus in Europa und die Staatsgründung Israels einschließt. Er bertrachtet den Zionismus als Reaktion auf den europäischen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts und nicht als direkte Antwort auf den Holocaust. Zimmermann kritisiert die heutige Umdeutung des Zionismus durch die israelische Regierung und Teile der jüdischen Gesellschaft zu einer nationalistischen Ideologie und kritisiert zugleich die deutsche Erinnerungskultur, die die historische Komplexität auf eine vereinfachte Täter-Opfer-Beziehung reduziert und politisch instrumentalisiert. Trotz aller Tragik schöpft er Hoffnung auf Frieden, inspiriert von der Versöhnung ehemals verfeindeter Nationen wie Deutschland und Frankreich.

"Widerstand gegen das NS-Regime – die geschleifte Erinnerung": Das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 gehört seit langem zum Gedenk-Kanon der Bundesrepublik. Oft werden die Verschwörer um Claus von Stauffenberg gar als Vordenker der freiheitlichen Grundordnung stilisiert. Ein Großteil der Deutschen hatte für sie indes noch Jahrzehnte nach dem Krieg nur Verachtung übrig. Inzwischen behauptet sogar die AfD, in ihrer Tradition zu stehen, weil sie Widerstand gegen ein vermeintlich unfreies System leiste. Es ist die vorerst bitterste Pointe einer langen Geschichte von Vereinnahmungen und politischer Instrumentalisierung. 

"Staatsräson - Wer muss sich an was warum erinnern?": Seit dem 7. Oktober betonen führende Politiker in Deutschland das Existenzrecht Israels als Teil der deutschen Staatsräson. Der Referent stellt die Frage, was diese Aussage für die deutsche Politik und Gesellschaft bedeutet. Sie beruht auf der Annahme einer besonderen Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel, die sich aus der historischen Schuld des Holocaust ergibt. Welche Verpflichtungen entstehen daraus für die heutigen Generationen, und wie sollte diese Erinnerung an den Holocaust in unserer heutigen Zeit verstanden und gelebt werden?

"Erinnern ohne Grenzen: Postkoloniale Traumata und der Weg zur globalen Gerechtigkeit": Welche Opfer sind uns nahe, welche bleiben fern und stumm? Welches Leid hat Stimme, welcher Schmerz spricht zur Welt? Charlotte Wiedemann sucht in ihrem jüngsten Buch nach Wegen, Erinnerungskultur im Geist globaler Gerechtigkeit neu zu denken. Dazu bringt sie zwei persönliche Anliegen in einen Dialog: Sensibilität und Verantwortung für die Shoah bewahren und eurozentrisches Geschichtsdenken überwinden. Sie betont: „Wir müssen die Shoah im Zentrum unserer Verantwortung halten. Aber wer die Shoah benutzt, um anderes Leid zu degradieren, hat ihre wichtigste Lehre nicht verstanden.“

"Erinnern ohne Helden - Erinnerungskultur in Deutschland: Diskurse und Vergleiche": Viele Gesellschaften ziehen ihren Zusammenhalt aus mythisch verklärten historischen Erzählungen, wie der Französischen Revolution oder dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. In Deutschland hingegen steht das Erinnern an den Holocaust, Diktatur und Krieg im Zentrum, wodurch Identität und Selbstverständnis negativ geprägt sind. Der Vortrag vergleicht diese deutsche Erinnerungskultur mit anderen Traditionen und untersucht, welche Funktionen das Erinnern erfüllen kann.

"Kollektives Erinnern und verfälschende Ritualisierungen - Perspektiven der Bearbeitung kollektiver Traumata": Der Vortrag untersucht die Konzepte ”Soziales Trauma” beziehungsweise ”kollektives Trauma” ausgehend von einer individualpsychologischen sowie von einer transdisziplinären Perspektive und versucht eine systematische Beschreibung von kollektiven Erinnerungsprozessen. Mögliche Risiken und Begrenzungen beim Umgang mit traumatischen Erinnerungen werden diskutiert.

"Erinnern heißt widerstehen – Die Überlebenden und die nationale deutsche Kultur der Erinnerung": Der Jurist Fritz Bauer, selbst Widerstandskämpfer und politischer Exilant, brachte Auschwitz, die Verbrechen der Wehrmacht, NS-Justiz und NS-Medizin vor Gericht. Anfeindungen und Morddrohungen verfolgten ihn deshalb bis zum Tod. Entnazifizierung und Demokratisierung waren nach 1945 sein Hauptanliegen, den Menschenrechten wollte er die gebührende Akzeptanz verschaffen. Er war die Stimme des Widerstands der Überlebenden. Der Vortrag wirft die Frage auf, ob und warum die deutsche Erinnerungskultur überlebende Verfolgte des NS-Regimes bloß als passive Opfer sieht und ihren Widerstand nahezu verdrängt hat.


Zurück

Diese Website verwendet lediglich systembedingte und für den Betrieb der Website notwendige Cookies (Session, individuelle Einstellungen).
Durch die Nutzung der Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir diese Cookies setzen.
Datenschutzbestimmungen